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Christian Hillgruber
Jedes Gesetz und jede politische Maßnahme, die uns ungerecht oder auch nur unerwünscht erscheint, aber gleichwohl für uns rechtlich verbindlich ist, stellt sich in individueller Perspektive als Fremdbestimmung dar, als etwas, das uns wider Willen aufgezwungen wird. An dieser Zumutung ändert auch die demokratische Legitimation der politisch Verantwortlichen einschließlich des Gesetzgebers nichts. Sie erlaubt zwar die Herstellung eines Zurechnungszusammenhangs, die Begründung der Geltung des demokratisch zustande gekommenen Mehrheitsbeschlusses für die Gesamtheit des repräsentierten Volkes1. Aber sie bleibt doch bloße Annäherung, wenn auch "die relativ größte Annäherung an die Idee der Freiheit"2. Sie vermag den ohne oder gegen den eigenen Willen auferlegten gesetzlichen Zwang nicht in ein Freiheitserlebnis, Heteronomie nicht in Autonomie zu verwandeln. Die demokratische Freiheit der "Mitwirkung an der Bildung des herrschenden Willens im Staate"3 ist daher kein Ersatz für die natürliche Freiheit des vorstaatlichen Zustandes; dieser muß vielmehr in Bändigung auch des demokratischen Souveräns durch die Gewährleistung von Grundrechten im "bürgerlichen Zustand" prinzipiell aufrechterhalten werden.
Von dieser generellen, praktisch unvermeidlichen, alltäglichen Heteronomie, die alle in einer Demokratie in gleicher Weise trifft und zumeist fremdem Willen untertan sein läßt, soll im folgenden nicht mehr die Rede sein. Es geht vielmehr bei dem mir aufgegebenen Thema um spezifische Formen der Fremdbestimmung gerade des Arztes, der in den Dienst fragwürdiger gesundheitspolitischer Zielvorstellungen genommen wird: eine Fremdbestimmung wider das ärztliche Selbstverständnis. So wird der Arzt in der Funktion, die ihm beim Schwangerschaftsabbruch und - nach dem Willen einer im Vordringen begriffenen politischen Meinung - künftig unter Umständen auch bei der aktiven Sterbehilfe zugewiesen wird, zum "Handlanger" der Patienten und Vollstrecker der von anderen "letztverantwortlich" getroffenen Entscheidungen über die Beendigung ihres eigenen oder gar fremden Lebens.
Fremdbestimmt aber sieht sich der Arzt auch und vor allem im gegenwärtigen, staatlich überreglementierten Gesundheitssystem, das ihn nahezu ausschließlich in die dienende Rolle des "Leistungserbringers" zwingt, der als Vertragsarzt der kassenärztlichen Zulassung bedarf, um überhaupt seine Berufsfreiheit ausüben zu können, und nach der sog. Gesundheitsreform sogar als Inkassostelle für die sog. Praxisgebühr herhalten muss.
Die Rolle des Arztes beim Schwangerschaftsabbruch
1. Die notwendige Beteiligung des Arztes bei der Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs
Der Arzt ist von Rechts wegen am Schwangerschaftsabbruch notwendig beteiligt; die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs setzt in jedem Fall voraus, daß er von einem Arzt durchgeführt wird (sog. Arztvorbehalt). Das Arzterfordernis soll gewährleisten, daß der Eingriff "fachgerecht", lege artis, und von daher mit möglichst geringem Gesundheitsrisiko für die Schwangere durchgeführt wird. Engelmachern und Kurpfuschern soll das Handwerk gelegt werden. So ehrenwert dieses Motiv ist, so mutet das Gesetz dem Arzt damit doch eine Tätigkeit zu, die nur in seltenen Fällen als Heileingriff qualifiziert werden kann und damit dem überkommenen Berufsbild entspricht. Nur wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft eine wirkliche Lebensgefahr für die werdende Mutter begründet, ist der Abbruch im wahren Sinne des Wortes medizinisch indiziert4. In allen anderen Fällen nimmt der Arzt mit der Abtötung der Leibesfrucht eine Handlung vor, die nicht zu Heilzwecken angezeigt ist und rechtlich sowie ethisch in hohem Maße fragwürdig erscheint.
Daß ein solches, an ihn gestelltes Ansinnen für den Arzt unzumutbar sein kann, erkennt der Gesetzgeber immerhin an: Niemand ist verpflichtet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken, es sei denn diese Mitwirkung ist notwendig, um von der Frau eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden (§ 12 Abs. 1 u. 2 SchKG).
Das Recht des Arztes, die Mitwirkung an Schwangerschaftsabbrüchen - mit Ausnahme medizinisch indizierter - zu verweigern, fällt in den Schutzbereich seines durch das ärztliche Berufsbild geprägten Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG)5. Der Gesetzgeber verläßt sich allerdings darauf, daß sich genügend Ärzte finden, deren Gewissen nicht schlägt und die daher von ihrem Weigerungsrecht keinen Gebrauch machen, sondern mitwirken, weil andernfalls das ganze System nicht funktionieren würde6, und diese Einschätzung hat sich als zutreffend erwiesen. Mehr noch: Der Staat darf sich nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der vorausgesetzten Mitwirkung versichern, indem ein öffentlicher Krankenhausträger die Bereitschaft zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zum eignungsrelevanten Merkmal für eine zur Besetzung anstehende Chefarztstelle bei einer Frauenklinik deklariert7.
Einem Arzt für Frauenheilkunde, der sich auf eine solche Chefarztstelle bewerben möchte, aber entgegen der vom Krankenhausträger in der Stellenausschreibung geäußerten Erwartung die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne, sei ohne Verstoß gegen seine grundrechtlich geschützte Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) zuzumuten, zur Vermeidung des sich daraus ergebenden Konflikts von der Bewerbung abzusehen und die hiermit verbundenen Nachteile hinzunehmen8. So befremdlich diese Rechtsprechung auf den ersten Blick erscheint9, sie ist letztlich nur konsequent: Mit der Verpflichtung, staatlicherseits ein ausreichendes und flächendeckendes Angebot sowohl ambulanter als auch stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen10, wird eine Staats- und Verwaltungsaufgabe begründet. Zu deren Erfüllung müssen die dafür erforderlichen sächlichen, aber auch personellen Mittel bereitgestellt und vorgehalten werden, und die "personellen Mittel" sind eben die zur Durchführung von Abbrüchen bereiten Ärzte.
Eine Stadt als Trägerin eines Krankenhauses muss sich daher auch um die Gewinnung solcher Chefärzte bemühen dürfen, die sich nach Prüfung ihres Gewissens zur Leitung einer Frauenklinik mit der Aufgabenstellung der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen imstande sehen. Daran wird allerdings "besonders deutlich, wie weit" - ungeachtet des prinzipiellen Rechtswidrigkeitsverdikts - "das staatliche Engagement bei der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen geht und wie dabei Ärzte vereinnahmt werden"11: Der Schwangerschaftsabbruch wird zur öffentlich geschuldeten Dienstleistung des Arztes, obwohl er nicht zu dessen Berufsbild, auch nicht zum Berufsbild des Gynäkologen zählt12.
2. Die Funktion des Arztes im "neuen Schutzkonzept"
Die vom BVerfG in der ersten Fristenlösungsentscheidung entwickelte und vom Gesetzgeber übernommene, von 1976-1993 geltende Indikationenlösung wies dem Arzt über die notwendige Teilnahme an dem von ihm durchzuführenden Schwangerschaftsabbruch hinaus die zentrale Rolle bei der Feststellung und Beurteilung des Vorliegens eines die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs ausnahmsweise ausschließenden Indikationstatbestandes zu. Danach sollte der Arzt mit verbindlicher Wirkung darüber entscheiden, ob die Austragung des ungeborenen Kindes der schwangeren Frau im Einzelfall zugemutet werden konnte oder nicht13.
Ob der Arzt tatsächlich die von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und dem Gesetzgeber vorausgesetzte besondere fachliche Eignung zur Feststellung des Ausnahmetatbestandes einer außergewöhnlichen, die Erfüllung der grundsätzlich bestehenden Pflicht zum Austragen des Kindes unzumutbar machenden Schwangerschaftskonfliktsituation besitzt, muß bezweifelt werden. Es handelt sich dabei jedenfalls nicht um eine medizinisch zu beantwortende Frage14.
Die Feststellung einer weit gefaßten medizinischen oder kriminologischen Indikation, die gemäß Â§ 218a Abs. 2 u. 3 StGB zu einem Ausschluß der Rechtswidrigkeit führt, ist nach wie vor ausschließlich dem Arzt vorbehalten. Die Bedeutung der Indikationsfeststellung ist indessen stark zurückgegangen, seit der Gesetzgeber mit grundsätzlicher Billigung des BVerfG für den Schutz des ungeborenen Lebens zu einem neuen Konzept übergegangen ist. Mehr als 95% aller statistisch erfaßten Schwangerschaftsabbrüche sind solche, die ohne Indikation nach der Beratungsregelung durchgeführt werden. Nach dem neuen Schutzkonzept liegt in der Frühphase der Schwangerschaft in Schwangerschaftskonflikten der Schwerpunkt auf der Beratung der schwangeren Frau, um sie für das Austragen des Kindes zu gewinnen. Zwar muß es von Verfassungs wegen dabei bleiben, daß der Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen wird und demgemäß rechtlich verboten ist15. Im Blick auf die notwendige Offenheit und Wirkung der Beratung wird aber auf eine indikationsbestimmte Strafdrohung und die Feststellung von Indikationstatbeständen durch einen Arzt als Dritten verzichtet16.
Dieser grundlegende Konzeptionswechsel wurde damit begründet und gerechtfertigt, daß schwangeren Frauen, denen eine qualifizierte, individuelle Beratung zuteil wird und denen die Letztverantwortung für die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch überlassen wird, "ihre Verantwortung unmittelbarer und stärker empfinden und daher eher Anlaß zu ihrer gewissenhaften Ausübung haben können, als wenn ein Dritter einen ihm genannten Grund - mehr oder weniger eingehend - überprüft und bewertet und mit der Feststellung, der Abbruch sei aufgrund eines Indikationstatbestandes erlaubt, der Frau ein Stück Verantwortung abnimmt"17.
Die Beratungsregelung mutet es andererseits Frauen zu, auf die persönliche Entlastung zu verzichten, die in einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des von ihnen beabsichtigten Abbruchs liegen kann. Aus der Wahrnehmung der Verantwortung, die der Frau mit der Beratungsregelung überlassen ist, kann keine Rechtfertigung des von ihr zu verantwortenden Abbruchs im Wege der Selbstindikation folgen. Nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche, deren Vornahme Frauen nach Beratung in den ersten zwölf Wochen von einem Arzt verlangen, sind daher zwar straffrei gestellt (§ 218a Abs. 1 StGB); sie dürfen aber nicht für gerechtfertigt (nicht rechtswidrig) erklärt werden18. Das ist gewissermaßen der verfassungsrechtliche Preis, der für eine Beratungsregelung gezahlt werden muß19.
Dem Arzt scheint damit bei der Beratungsregelung prima facie die Last der Verantwortung abgenommen zu sein. Es ist die Frau, die im Beratungskonzept letztlich den Abbruch der Schwangerschaft tatsächlich bestimmt und insoweit verantworten muß (sog. Letztverantwortung). Gleichwohl bindet das BVerfG den Arzt in das Schutzkonzept der Beratungsregelung ein und weist ihm innerhalb dieses Konzepts eine eigene Schutzfunktion zu. Der Staat muß sogar den Arzt verpflichten, die ihm zukommende Schutzaufgabe wahrzunehmen. Die im Interesse der Frau notwendige Beteiligung des Arztes soll zugleich Schutz für das ungeborene Leben bewirken. Der Arzt, schon durch Berufsethos und Berufsrecht darauf verpflichtet, sich grundsätzlich für die Erhaltung menschlichen Lebens, auch des ungeborenen, einzusetzen, darf einen verlangten Schwangerschaftsabbruch nicht lediglich vollziehen, sondern hat sein ärztliches Handeln zu verantworten. Ihn trifft deshalb nach der Rechtsprechung des BVerfG bei einem Schwangerschaftsabbruch eine erweiterte Aufklärungs- und Beratungspflicht, gerade weil "die Rechtsordnung darauf verzichtet, das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes für den Schwangerschaftsabbruch im Einzelfall feststellen zu lassen"20.
Eine ärztlich verantwortbare Entscheidung über die Mitwirkung beim Schwangerschaftsabbruch setzt zunächst voraus, daß der Arzt sich über die Voraussetzungen vergewissert, von denen nach dem Schutzkonzept der Beratungsregelung der Ausschluß der Strafdrohung abhängt (vgl. § 218a Abs. 1 StGB). Er muß daher prüfen, ob sich die Schwangere hat beraten lassen, ob die Überlegungsfrist von mindestens drei Tagen, die zwischen Beratung und Eingriff liegen muß, verstrichen ist, und ob seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. Über diese selbstverständliche Prüfung der formalen Voraussetzungen der Straflosigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs hinaus obliegt es dem Arzt, den Schwangerschaftskonflikt, in dem die zu ihm kommende Frau steht, im Rahmen seiner Erkenntnismöglichkeiten zu ermitteln. Dazu hat er sich die Gründe, aus denen die Frau den Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen will, darlegen zu lassen. Bei anderen als ärztlicher Untersuchung zugänglichen Gründen darf er allerdings regelmäßig von den ihm glaubhaft erscheinenden angegebenen Gründen ausgehen. Der von der Frau zwecks Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs aufgesuchte Arzt muß auch versuchen, etwaige tieferliegende Ursachen des Schwangerschaftskonflikt aufzudecken und sich Gewißheit darüber verschaffen, daß die Frau nicht von Dritten gegen ihren wirklichen Willen zum Schwangerschaftsabbruch gedrängt wird.
Auf der Basis der durch Untersuchung und Befragung der Frau gewonnenen Erkenntnisse beurteilt der Arzt - in normativer Orientierung an dem ihm aufgegebenen Schutz des ungeborenen Lebens - die Konfliktlage und führt ein Beratungsgespräch mit der Frau. In diesem Gespräch hat er der Frau zu verdeutlichen, daß der Schwangerschaftsabbruch die Zerstörung menschlichen Lebens bedeutet, und ihr deshalb, sofern nicht eine Ausnahmesituation vorliegt, in der die Rechtsordnung einen Schwangerschaftsabbruch als nicht rechtswidrig qualifiziert, davon abzuraten. Bleibt die Frau dessen ungeachtet bei ihrem Abtreibungsverlangen, so muß sich der Arzt abschließend darüber Rechenschaft ablegen, ob das Gespräch mit der Patientin ihm die Überzeugung vermitteln konnte, daß der Abbruchwunsch auf einem eigenen, verantwortlichen Entschluß und achtenswerten Gründen beruht und er selbst im Hinblick darauf die Durchführung des Abbruchs ärztlich verantworten zu können glaubt.
Dagegen kommt es nach dem Konzept der Beratungsregelung nicht darauf an, ob der Arzt den Schwangerschaftsabbruch selbst für zulässig hält. Hält der Arzt unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls den von ihm verlangten Abbruch für ärztlich nicht verantwortbar, so ist er aufgrund seiner allgemeinen Berufspflichten gehalten, seine Mitwirkung daran abzulehnen. Der Frau hat er die für seine Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mitzuteilen21.
Die Funktion, die das BVerfG damit dem Arzt im Schutzkonzept der Beratungsregelung zuweist, ist ambivalent und deshalb heikel. Einerseits soll der Arzt, den die Schwangere zur Durchführung des Abbruchs aufsucht, neben der obligatorischen, am Ziel des Schutzes des ungeborenen Lebens orientierten Beratung gewissermaßen einen zweiten, seinem Selbstverständnis geschuldeten Schutzwall für menschliches Leben bilden, weiß doch außer der werdenden Mutter und der Person, die sie beraten hat, oft nur er um die Existenz des Ungeborenen und ist dieser nach seinem Berufsverständnis doch ohnehin zu dessen Schutz berufen.
Andererseits soll der Arzt aber letzten Endes die Entscheidung der Frau als maßgeblich respektieren und sich ihrem nach dem Beratungsgespräch aufrechterhaltenen, beachtlichen Abbruchwunsch fügen. Nach der Rechtsordnung darf ein Schwangerschaftsabbruch überhaupt nur in Ausnahmesituationen in Betracht gezogen werden, nämlich nur, wenn der Frau daraus eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die ihr zumutbare Opfergrenze übersteigt. Wie soll dann aber der Arzt in gebotener normativer Orientierung am verfassungsrechtlich vorgegebenen grundsätzlichen Verbot des Schwangerschaftsabbruchs eine nach Beratung ohne Indikationsfeststellung vorzunehmende, also rechtswidrige Abtreibung verantworten können?
Auf diese entscheidende Frage bleibt der Zweite Senat des BVerfG eine Antwort schuldig22. Ein Beleg für die dogmatische Inkonsistenz der kompromißhaften zweiten Fristenlösungsentscheidung, die zudem mit einem schillernden Verantwortungsbegriff operiert: Sowohl die Frau, die in ihrer sog. "Letztverantwortung" allein entscheidet, was ihr zuzumuten ist, als auch der Arzt, der die sogenannte ärztliche Verantwortung für den Abbruch tragen soll, sind im Grunde niemandem außer sich selbst verantwortlich: ein sinnentleerter Begriff von Verantwortung.
Die Zumutung der Mitwirkung am rechtswidrigen Abbruch verwandelte das BVerfG sodann unversehens in eine grundrechtliche Freiheitsberechtigung. In seiner Entscheidung zum Bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetz von 1996 sprach der Erste Senat des BVerfG23 den sich auf Abbrüche spezialisierten beschwerdeführenden Ärzten auch für die Durchführung rechtswidriger Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung den Grundrechtsschutz der Berufsfreiheit zu.
Als Begründung diente ihm unter irreführender Berufung auf das zweite Abtreibungsurteil der schlichte Hinweis darauf, dass die Tätigkeit des Arztes im Interesse der Schwangeren und ihrer Gesundheit sowie zum Schutz des ungeborenen Lebens notwendiger Bestandteil des gesetzlichen Schutzkonzepts der Beratungsregelung sei. Die Wirksamkeit des auf den Abbruch gerichteten Behandlungsvertrages verwandelt die nicht indizierte Abtreibung durch den Arzt aber nicht zur erlaubten beruflichen Betätigung, die der Arzt - durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt - zulässigerweise zur wirtschaftlichen Grundlage seiner Lebensführung machen dürfte.
Für die damit einhergehende Tötung des Ungeborenen kann angesichts der verfassungsrechtlichen Prämisse des Handlungs- und Erfolgsunrechts der Abtreibung weder die Frau, die sich nach Beratung zum Abbruch entschließt, eine grundrechtlich geschützte Rechtsposition in Anspruch nehmen noch genießt der Arzt insoweit unter dem Aspekt der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Erwerbsfreiheit Grundrechtsschutz. Doch der Perversion des ärztlichen Selbstverständnisses und Heilauftrags folgte die Perversion des Freiheitsverständnisses auf dem Fuße.
Sterbehilfe und "die individuelle Verantwortung des Arztes"
Bezeichnend ist auch, auf welche Weise diejenigen, die der aktiven Sterbehilfe den Weg bereiten wollen, die Verantwortung dafür auf den Arzt abwälzen. So fragt der Philosoph Volker Gerhardt24: "Gesetzt, der unheilbare Kranke beharrt auf einer letzten Hilfe, die ihn definitiv von seinem Leiden erlösen soll: Was ist dann zu tun?" Und weiter: "Liegt nicht die ganze Verantwortung bei dem, der die Behandlung beendet oder die tödliche Dosis verabreicht? Kann eine Arzt durch den Todeswunsch seines Patienten verpflichtet, ja, kann er überhaupt durch ihn entschuldigt sein?" "Ethisch gesehen", so Volker Gerhardts erste, vorläufige Antwort, "kann niemand verpflichtet sein, den Todeswunsch eines anderen auszuführen. Kein Arzt, dessen berufliches Ethos in der Heilung von Krankheiten besteht, kann durch eine noch so eindeutige Willensäußerung zur Sterbehilfe genötigt sein. Auch ein erwarteter "irreversibler tödlicher Verlauf’ der Krankheit kann daran nichts ändern. Weder eine seit langem vorliegende Patientenverfügung noch ein akutes Verlangen enthalten einen hinreichenden Grund".
Doch dann flüchtet sich Gerhardt, um die Berechtigung zur ärztlichen Leistung von Sterbehilfe zu begründen, in die "Ethik der individuellen Verantwortung": "Gesetzt, die Lage ist individuell verbindlich, juridisch eindeutig und medizinisch aussichtslos, entfällt auch der letzte Grund, den ein Arzt unter Berufung auf sein Ethos für eine weitere Behandlung anführen könnte. Dann ist es allein eine Frage seiner persönlichen Verantwortung, ob er die letzte Hilfe gewährt oder die Behandlung einem anderen überlässt. ... Wer es in einer solchen Lage vor sich selbst vertreten kann, einem Sterbenden die letzte Hilfe zu gewähren, dem kann das nicht als moralische Verfehlung zur Last gelegt werden. Die dazu erforderliche Urteilskraft kann freilich nur einem Arzt zugestanden werden. Der darf dann - und nur dann - zum Tod verhelfen, wenn er überzeugt sein kann, dass eine Heilung ausgeschlossen ist und zugleich eben der Zustand gegeben ist, auf den sich das Todesverlangen bezieht".
Aber warum, so fragt man sich, soll der Arzt nicht nur hinsichtlich der Aussichtslosigkeit weiterer Heilbehandlung sondern auch im Hinblick auf die Ernsthaftigkeit, Unbedingtheit und aktuelle Geltung des Todeswunsches eine besondere Urteilskraft besitzen. Hier könnten Angehörige, die mit dem unheilbar Kranken längere Zeit zusammengelebt haben, doch wohl viel verläßlicher Auskunft geben, vorausgesetzt, sie haben kein Eigeninteresse an einem möglichst raschen Ableben ihres Verwandten. Und wenn hier Zweifel bleiben, müßte dann nicht, wenn denn überhaupt jemand anderem als dem betroffenen Menschen selbst Entscheidungsgewalt über dessen Fortleben eingeräumt werden kann und soll, der von Berufs wegen zur Unparteilichkeit und Wahrheitssuche verpflichtete, unabhängige Richter letztverbindlich entscheiden?
In Wahrheit soll hier die Verantwortung für den Tod von fremder Hand, die man selbst mit Recht nicht tragen zu können glaubt, lediglich auf den Arzt delegiert und damit scheinbar fachmännisch legitimiert werden. Dieser muss aber, um für diese angebliche Hilfeleistung gewonnen werden zu können, von seiner Berufsethik, die ihn gerade zur Lebenserhaltung anhält und von Lebensvernichtung abhält, freigesprochen und auf seine "individuelle Verantwortung" verwiesen werden. Aus der berufsethischen Verpflichtung entlassen, soll es einem Arzt ermöglicht werden, "nach dem eindeutigen Willen eines Todkranken zu handeln - wenn es sein ärztliches Urteil erlaubt und wenn sein Gewissen dem nicht entgegensteht".
Die sog. individuelle Verantwortung erschöpft sich also im Rekurs auf das ungebundene, unüberprüfbare subjektive Gewissen des Einzelnen, das bei dem einen schlagen mag, bei dem anderen aber schweigt. Indem der einzig denkbare, aber sich als sperrig erweisende objektive Maßstab der ärztlichen Standesethik zugunsten einer subjektiven Gewissensentscheidung des Arztes beiseite geschoben wird, ist der Weg für die unverantwortliche, in das Gutdünken des Arztes gestellte, unter wirkungsvollem Appell an die Helferattitüde als letzte "Hilfe" verschleierte Fremdtötung frei; denn machen wir uns nichts vor: Die Tötung auf Verlangen weist nicht nur eine phänomenologische Nähe zum klassischen Totschlag auf, sie ist auch ungeachtet irreführender Umschreibung als "arbeitsteiliger Selbsttötung"25 (Jakobs) Fremdbestimmung im substanziellen Sinne: Nicht derjenige, der getötet werden will, sondern der den Tötungsakt allein vornehmende Dritte beherrscht das Geschehen, und deshalb ist es praktisch auch nie unzweifelhaft, ob denn der Wille, getötet zu werden, auch wirklich im endgültigen Zeitpunkt des irreversiblen Überschreitens der letzten Schwelle, in jenem entscheidenden Moment, der kein Aus- oder Zurückweichen mehr zuläßt, noch immer besteht26.
Und deshalb ist es ein Ding der Unmöglichkeit, wenn jemand versucht, "einem anderen die Verantwortung für sein definitives Ende aufzubürden" und gleichzeitig bis zuletzt die Selbstbestimmung zu wahren. Wenn der Arzt sich unter Berufung auf einen entsprechenden Willen seines Patienten zu dessen Tötung entschließt, dann verantwortet er diese Handlung nicht ärztlich - "die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos"27 - sondern entscheidet über das Fortleben eines anderen als Privatperson, die insoweit über keine "höhere Moral" als andere Individuen verfügt. Der Begriff der individuellen Verantwortung führt dabei in die Irre und lenkt den Arzt von seinem beruflichen Ethos ab; für sein Tun soll er gerade niemandem verantwortlich sein - außer sich selbst, d.h. vor der Instanz seines Gewissens. Wie eine solch billige "Ethik der individuellen Verantwortung", bei der am Ende niemand mehr Verantwortung für den absichtsvoll herbeigeführten Tod eines anderen Menschen trägt, dadurch, daß sie ihren Ausgang beim einzelnen nimmt, "der in genauer Kenntnis der Umstände seine individuelle Verantwortung wahrzunehmen hat, [...] die höchsten Hürden gegen eine allgemeine Lizenz zum Gnadentod [errichtet]", bleibt ein Rätsel und das Geheimnis Volker Gerhardts.
Das einzige, was mit einer so organisierten Sterbehilfe erreicht werden mag28, ist, dass das Leben desjenigen, der seines Lebens überdrüssig ist, "sorgfältig" beendet wird: gewissermaßen eine Tötung lege artis, wenn es so etwas geben sollte. Den Tod zuteilen: Ist das eine Aufgabe, die ein Arzt verantwortlich übernehmen kann?
Noch hält in Deutschland der Damm, den das Recht29 und die Berufsethik gegen aktive Sterbehilfe errichtet haben. Doch wie lange noch? Die Euthanasiewelle rollt an und droht ganz Europa zu überfluten. Können und dürfen wir darauf vertrauen, daß die Ärzteschaft getreu der Erkenntnis, daß Euthanasie mit dem ärztlichen Berufsethos unvereinbar ist und aktive Sterbehilfe das ärztliche Berufsbild pervertieren würde, sich dem an sie gerichteten Ansinnen, als Tötungsgehilfen zu agieren, aus Gründen der Selbstachtung geschlossen entziehen wird? Wohl kaum. Der Bonner Strafrechtler Günther Jakobs fasste seine Einschätzung vor kurzem wie folgt zusammen: "Die Ärzte machen das schon. Eine Profession, die keine Probleme damit hat, jährlich rund 200.000 Embryos zu töten, wird auch mit der Tötung auf Verlangen keine unüberwindbaren Probleme haben, vorausgesetzt, die Gebührenordnung stimmt"30.
Der Arzt im System der gesetzlichen Krankenversicherung
Fremdbestimmt, wenn auch in ganz anderer Art und Qualität, sieht sich der Arzt auch als "Leistungserbringer" im System der gesetzlichen Krankenversicherung. Das privatrechtliche Rechtsverhältnis zwischen (Vertrags-) Arzt und (Kassen-)Patient ist hier in ein kompliziertes Geflecht öffentlich-rechtlich ausgestalteter Rechtsbeziehungen eingebettet und teilweise sogar durch diese überlagert31.
Im einzelnen bestehen hier folgende Rechtsverhältnisse: Der Kassenarzt ist Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung, die ihrerseits mit dem Sozialversicherungsträger einen öffentlich-rechtlichen Gesamtvertrag schließt, aufgrund dessen sie die Dienste ihrer Mitglieder zur Verfügung stellt und abrechnet (§ 83 SGB V). Der Kassenpatient ist schließlich Mitglied der öffentlich-rechtlich organisierten Krankenkasse, die als Sozialversicherungsträger mit Zwangsmitgliedschaft ausgestattet ist; kraft der Mitgliedschaft erwirbt der Kassenpatient gegen die Krankenkasse einen Anspruch auf Bereitstellung der notwendigen medizinischen Versorgung in Form von Sach- und Dienstleistungen; zur Erfüllung dieses Anspruchs bedient sich die Krankenkasse sog. Leistungserbringer, insbesondere der Vertragsärzte, die sie über die Kassenärztlichen Vereinigungen an sich gebunden hat.
Bereits der Zugang zur Ausübung der Tätigkeit als Vertragsarzt ist nicht frei, sondern öffentlich-reguliert32: Es bedarf eines Verwaltungsaktes in Gestalt der Zulassung, der bewirkt, daß der Vertragsarzt zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt und zugleich verpflichtet ist (§ 95 Abs. 3 S. 1 SGB V). Die Vertragsarztzulassung wird lokal beschränkt nur für den Ort der Niederlassung erteilt (sog. Lokalitätsprinzip; § 95 Abs. 1 S. 4 SGB V). Bedeutsamer noch ist die inhaltliche Ausgestaltung und Festlegung der Tätigkeit des Vertragsarztes, dessen Hauptleistungspflicht in der Versorgung der Versicherten besteht. Die geschuldete vertragsärztliche Versorgung umfasst in ihrem Schwerpunkt die ärztliche Behandlung sowie die Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (§ 73 Abs. 2 Nr.1 u. 7 SGB V). Dabei unterliegt der Arzt vielfältigen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorgaben, die sein Behandlungs- und Verordnungsverhalten maßgeblich beeinflussen und damit auf das Arzt-Patienten-Verhältnis durchschlagen. Hingewiesen sei hier nur exemplarisch auf das Festbetragssystem für Arznei- und Hilfsmittel; es betrifft zwar von Rechts wegen nur den so beschränkten Leistungsanspruch der Versicherten gegen ihre Krankenkasse, prägt aber natürlich auch "generalpräventiv" die konkreten Verordnungsentscheidungen des Vertragsarztes gegenüber seinem Patienten.
Die Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern werden durch den Grundsatz bestimmt, dass die Versorgung der Versicherten ausreichend und zweckmäßig sein müssen, das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen und in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden müssen (§ 70 Abs. 1 S. 2 SGB V). In Zeiten knapper Kassen dominiert indes das Wirtschaftlichkeitsprinzip, das in latenter Spannung zur Therapiefreiheit des Arztes steht und den Arzt zu zurückhaltender Leistungserbringung anhält.
Verstärkt wird der durch das Wirtschaftlichkeitsgebot ausgehende Druck auf die Vertragsärzte, der sie unter Umständen auch von der sorgfältigen Erfüllung ihres Heilauftrags abhalten kann, durch den Maßstab für die Verteilung der von der Kassenärztlichen Vereinigung auszuschüttenden Gesamtvergütungen an die Vertragsärzte, "der Regelungen zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Vertragsarztes vorzusehen [hat]". Insbesondere sind arztgruppenspezifische Grenzwerte festzulegen, bis zu denen die von einer Arztpraxis erbrachten Leistungen mit festen Punktwerten zu vergüten sind (Regelleistungsvolumina). Für den Fall der Überschreitung der Grenzwerte ist vorzusehen, dass die den Grenzwert überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Punktwerten vergütet wird. (§ 85 Abs. 4 S. 6-8 SGB V). Dies bedeutet - verklausuliert - nichts anderes als Kürzung bzw. Vorenthaltung des Honorars. Die budgetierten Leistungspauschalen und Punktesysteme der gesetzlichen Krankenversicherung üben ein das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient beeinträchtigenden Kosten- und Einspardruck aus33.
Überhaupt ist die Art und Weise der Festlegung der vertragsärztlichen Vergütung als Gegenleistung für die in Erfüllung der Teilnahmepflicht an der vertragsärztlichen Versorgung erbrachten Leistungen symptomatisch dafür, dass der Vertragsarzt im System der gesetzlichen Krankenversicherung mehr Regelungsobjekt denn selbstbestimmtes und selbstverantwortliches Rechtssubjekt ist.
Eine privatautonome Vereinbarung der Vergütung für die als "Kassenleistung" erbrachte ärztliche Behandlung ist ausgeschlossen. Vielmehr gibt das Gesetz es den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Verbänden der Krankenkassen auf, die vertragsärztliche Versorgung durch Verträge so zu regeln, daß die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet werden (§ 72 Abs. 2 SGB V). Die Beurteilung der Angemessenheit wird also in die Hände Dritter gelegt. "Privatautonomes Aushandeln des Preises für zu erbringende Leistungen weicht fremdbestimmter Vorgabe, Selbstverantwortung der Fremdeinwirkung. Sie wird nur dadurch gemildert, dass der Vertragsarzt als Zwangsmitglied der Selbstverwaltungskorporation Kassenärztliche Vereinigung im Verein mit den anderen Vertragsärzten Einfluss auf die Vereinbarung der Gesamtvergütung und die Honorarverteilung nehmen kann"34.
Angesichts des Ausmaßes der gesetzlichen und vertraglichen Fremdsteuerung des vertragsärztlichen Leistungsverhaltens und der Fremdbestimmung der ihm zustehenden Vergütung stellt sich die Frage, ob der Vertragsarzt überhaupt noch als Freiberufler im eigentlichen Sinne des Wortes angesehen werden kann35. Die Frage nach dem Status des Vertragsarztes ist nicht nur für das Selbstverständnis desselben wichtig, empfindet sich doch die Berufsgruppe der Ärzte herkömmlich neben den Rechtsanwälten als geradezu idealtypisches Muster eines sogenannten freien Berufs, der selbständig und in weitgehender Unabhängigkeit ausgeübt wird; die Einordnung der Tätigkeit des Vertragsarztes bestimmt darüber hinaus auch - unausgesprochen - wenn nicht gar über das "ob" grundrechtlicher Freiheitsberechtigung bei Wahrnehmung dieser Tätigkeit, so doch zumindest über das Ausmaß seiner Berechtigung aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).
Die Funktion des Vertragsarztes, das hat der kurze Überblick über die öffentlich-rechtlichen Bindungen, denen er unterliegt, deutlich gemacht, ist integraler Bestandteil des durch Pflichtversicherung und Sachleistungsprinzip gekennzeichneten und etwa 90% der Bevölkerung einbeziehenden Systems der gesetzlichen Krankenversicherung, die der öffentlichen Aufgabe des Schutzes der Volksgesundheit dient. Der Vertragsarzt wird in diesem Versorgungssystem als Leistungserbringer, d.h. als Erfüllungsgehilfe (letztlich) für die gesetzliche Krankenversicherung tätig. Kann man ihn gleichwohl noch als Freiberufler qualifizieren36 oder handelt es sich wegen "des Amtseinschlags beim Kassenarzt"37 um einen staatlich gebundenen Beruf38, um einen "Beliehenen"39 oder gar "Halbbeamten"40? Macht das Sozialversicherungswesen den Vertragsarzt nicht "letztlich zum öffentlich-rechtlich gebundenen Funktionsträger"41?
Das Bundesverfassungsgericht geht nach wie vor von einem einheitlichen Beruf des frei praktizierenden Arztes aus und lehnt es ab, den Vertragsarzt als eigengearteten, eigenständigen Beruf anzuerkennen42. Da "in einem System monopolisierter Krankheitspflichtvorsorge mit Sachleistungsprinzip die Zulassung zur Vertragsarzttätigkeit typischerweise erst die Ausübung des Arztberufes ermöglicht"43, besteht auf sie sogar ein grundrechtlich vermittelter Rechtsanspruch44. Aber geht es hier, so wie die vertragsärztliche Versorgung konstruiert ist, wirklich noch um die Abwehr eines die Berufsfreiheit beschränkenden Eingriffs45 oder nicht doch vielmehr um eine die wirtschaftliche Existenz sichernde Teilhabe an einem sozialen Sicherungssystem, für die andere Maßstäbe gelten46?
Gehört der Anspruch auf eine angemessene, mindestens kostendeckende Vergütung zum Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG47 oder geht es hier um die Bestimmung der Voraussetzungen und Grenzen einer zulässigen Indienstnahme zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe? Ungeachtet seines Ausgangspunktes, daß auch dem Vertragsarzt die (volle) Berufsfreiheit zuzusprechen sei, hat das BVerfG in seiner Rechtsprechung nahezu jeden Eingriff in diese angebliche Berufsfreiheit des Vertragsarztes gerechtfertigt48 und dabei gebetsmühlenartig auf die Erhaltung des gegenwärtigen Systems der Krankenversorgung, auf die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung abgestellt, die es zu einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut im Sinne der "Dreistufenlehre" erklärt hat49. Das ist zwar im Ergebnis systemkonform, aber doch wohl mit dem grundrechtlichen Ansatz kaum in Einklang zu bringen50. So müsste in der Tat ein grundrechtlicher Anspruch des Arztes darauf, unbegrenzt vertragsärztliche Leistungen erbringen und gegenüber der Krankenkasse in Rechnung stellen zu können, die Krankenkassen finanziell überfordern und das System kollabieren lassen51. Doch was ist sub specie Berufsfreiheit von einem grundrechtlichen Anspruch auf angemessene, kostendeckende Vergütung zu halten, der erst bei einem Unterschreiten des Existenzminimums verletzt ist?52
Es gibt nur zwei widerspruchsfreie, konsistente Lösungen: Entweder man nimmt die grundrechtliche Selbstbestimmung der "Leistungserbringer" ernst, stellt damit allerdings notwendig das ganze System selbst in Frage53 oder man denkt die Rolle des Vertragsarztes systemimmanent konsequent zu Ende: Dann kann der "Bedienstete der Kassenpatienten", der "öffentlich-rechtlich gebundene Funktionsträger"54 innerhalb des Gesundheitssystems nicht zugleich auch als gegenüber diesem System mit grundrechtlicher Freiheitsberechtigung ausgestattet angesehen werden. Als Funktionsträger im öffentlich-rechtlichen System muss er selbst zu dessen Erhaltung beitragen, kann ihm als Leistungsvolumen und Vergütung nur zugesprochen und zugeteilt werden, was das Gesamtsystem verträgt, ohne seine Funktionsfähigkeit und Stabilität einzubüßen.
Nur wenn sich die konsequent freiheitliche Sicht durchsetzt, kann der Arzt die gegenwärtige Fremdbestimmung als Vertragsarzt überwinden und wieder zu Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zurückfinden.
Ausgewählte Steuerungsinstrumente des Kassenarztrechts und Instrumentalisierung des Arztes
Auf zwei Steuerungsinstrumente des Kassenarztrechts und die damit einhergehende Instrumentalisierung des Vertragsarztes soll kurz gesondert eingegangen werden: auf das Mittel der Budgetierung (1.) und auf die sog. Praxisgebühr (2.).
1. Budgetierung
Das geltende Recht der GKV, in dem sich die Budgetierung als maßgebliches Gestaltungsprinzip zunehmend ausbreitet, kennt eine Fülle verschiedener Formen sog. Budgets. "Globalbudget" etwa bedeutet eine der GKV insgesamt oder in bestimmten Ausgabenbereichen zur Verfügung gestellte Gesamtsumme, "das Ausgabevolumen für die Gesamtheit der zu vergütenden vertragsärztlichen Leistungen". Unter "Praxisbudget" versteht man die einer Vertragsarztpraxis in einem bestimmten Abrechnungszeitraum zur Verfügung stehenden Mittel. Das Praxisbudget resultiert aus der Anwendung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen. Sie werden arztpraxisbezogen einer fallzahlabhängigen Budgetierung unterstellt. Die in den aus Fallpunktzahl und Fallzahl zu ermittelnden Budgets enthaltenen Leistungen sind je Praxis und Quartal "jeweils nur bis zu einer begrenzten Gesamtpunktzahl abrechnungsfähig" (§ 87 Abs. 2a SGB V). Mit anderen Worten: Praxisbudgets legen für den Vertragsarzt eine höchstzulässige Einzelvergütung fest. Sie belasten die Ärzteschaft mit dem Risiko unvergüteter Ausweitung der Leistungsmenge. Die gleiche Wirkung entfalten, wie gesehen, arztgruppenspezifische Regelleistungsvolumina; auch sie sind daher als auf der einzelnen vertragsärztlichen Ebene angesiedelte Budgets zu bewerten55.
Budgetierung bedeutet Kontingentierung, Rationierung durch Festlegung von Ausgabenobergrenzen. Sie ordnet praktisch - bei andernfalls eintretender Selbstschädigung - eine Verpflichtung des Vertragsarztes zur Einhaltung damit vorgegebener, vergütungsfähiger Leistungsvolumina an. Die Budgetierung gerät damit tendenziell mit dem die gesetzliche Krankenversicherung prägenden Bedarfsprinzip in Konflikt, sofern das Budget so knapp bemessen ist, daß vorhandener Bedarf nach ärztlicher Behandlung, der Verordnung von Arznei- oder Heilmitteln wie auch nach stationärer Versorgung nicht (in vollem Umfang) gedeckt werden kann56, was auch bei Annahme und Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven des Systems irgendwann unweigerlich der Fall sein wird.
Unredlicherweise lässt der zum Zweck der Ausgabenbegrenzung zum Mittel der Budgetierung greifende Gesetzgeber aber die Leistungsansprüche der Versicherten, die auf die Deckung des notwendigen Bedarfs gerichtet, rechtlich unberührt und verpflichtet stattdessen die Vertragsärzte zur Einhaltung von Leistungsobergrenzen. Er wälzt damit die Verantwortung auf die Leistungserbringer ab, die die mit der Rationierung verbundenen Konsequenzen letztlich im Einzelfall, d.h. in dem vertrauensabhängigen Arzt-Patient-Verhältnis zu bewältigen haben57.
Das Problem der Ausgabensteigerung aber lässt sich mit dem dafür ungeeigneten Mittel der Budgetierung nicht lösen. Die in § 84 Abs. 1 SGB V nach wie vor enthaltene Regelung über das Arzneimittelbudget begründet gar eine verfassungsrechtlich unhaltbare Kollektivhaftung der Vertragsärzte für den Fall der Budgetüberschreitung58.
2. Praxisgebühr
Durch das am 1.1.2004 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung59 hat der Sozialgesetzgeber für die Inanspruchnahme eines an der ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringers eine sogenannte Zuzahlung von 10,- € eingeführt (§ 28 Abs. 4 i.V.m. § 61 S. 2 SGB V). Diesen - in der Gesetzesbegründung60 auch als "Praxisgebühr" bezeichneten - Beitrag leistet der Versicherte, soweit er das 18. Lebensjahr vollendet hat, an den die Leistung erbringenden Arzt (§ 28 Abs. 4 S. 1 SGB V). Der Arzt hat den Betrag einzubehalten, sein Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse oder der Kassenärztlichen Vereinigung verringert sich um diesen Betrag (§ 43 Abs. 2 S. 1 SGB V). Geleistete Zuzahlungen sind kostenfrei zu quittieren (§ 61 S. 4 SGB V).
Mit dem Begriff der "Gebühr" wird der irreführende Eindruck erweckt, die Versicherten erbrächten eine Gegenleistung für besonderen Verwaltungsaufwand; in Wahrheit handelt es sich um eine Zuzahlung zu den Kosten der in Anspruch genommenen Gesundheitsleistungen, durch die deren Eigenverantwortung gestärkt und ein Beitrag zur Konsolidierung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden soll61. "Die Praxisgebühr ist keine Leistung für die Arztpraxis, sondern für die Krankenkasse. Die Arztpraxis fungiert nur als Inkassostelle"62. Die Einziehung der "Praxisgebühr" durch den behandelnden Arzt dient der Verwaltungsvereinfachung und macht ihn zugleich "im Wege des Etikettenschwindels zum Blitzableiter für den von den Medien entfachten Volkszorn"63.
Aber ist sie deshalb auch schon verfassungswidrig? Bei der Verpflichtung des Arztes zur Einbehaltung handelt es sich nicht um einen Beleihungsakt, sondern um eine Indienstnahme durch gesetzliche Auferlegung bestimmter Handlungspflichten64. "Mit anderen Worten bedient sich der Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben privater Verwaltungskraft. Der in Dienst genommene Private wird in die Rolle eines Verwaltungshelfers wider Willen gedrängt"65. Die Zulässigkeit einer solcher Inanspruchnahme Privater für die Realisierung öffentlicher Zwecke ist umstritten; sie dürfte allerdings bei hinreichender Sach- und Verantwortungsnähe des Verpflichteten zu der damit geförderten öffentlichen Aufgabe prinzipiell zu bejahen sein66.
Diese erforderliche Nähebeziehung wird man angesichts der Einbindung des Arztes in das tripolare Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung im vorliegenden Zusammenhang kaum verneinen können67. Zwar ist der Arzt hier bei der Durchsetzung einer Forderung behilflich, die der Krankenkasse zusteht und die der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung dient. Aber die Finanzierung dieses Sicherungssystems kommt letztlich auch dem in dieses System integrierten Vertragsarzt zugute, der sein Honorar ja nicht von den Kassenpatienten erhält, sondern ausgezahlt von den Kassenärztlichen Vereinigungen, an die die Krankenkassen die Gesamtvergütungen ausschütten68.
Die Einbehaltung der Praxisgebühr ist integraler Bestandteil der Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung, zu der der Vertragsarzt nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist. Ist es dann nicht - systemimmanent betrachtet - auch recht und billig, die Vertragsärzte mit der Auferlegung der Pflicht zur Einziehung und Quittierung der Praxisgebühr als Verwaltungshelfer in Anspruch zu nehmen? Daß die Inpflichtnahme als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, bedeutet allerdings nicht, daß es zulässig ist, den Arzt auch mit den Kosten des Einzugsverfahrens zu belasten69. Eine Inpflichtnahme ohne Ausgleich der entstehenden Kosten läuft auf eine sachlich nicht zu rechtfertigende Honorarkürzung hinaus.
Fazit und Ausblick: Die Erfüllung des ärztlichen Heilauftrags im Spannungsfeld rechtlicher
und berufsethischer Anforderungen
Was haben die beschriebenen, verschiedenen Formen der Fremdbestimmung des Arztes durch den Gesetzgeber gemein? Sie lenken den Arzt von der Wahrnehmung seines genuinen Heilauftrags ab, ja mehr noch: sie verfremden ihn und sind geeignet, den Arzt von der Erfüllung seiner Pflichten abzuhalten.
Im System der gesetzlichen Krankenversicherung droht der Arzt die Freiheit seines Berufs einzubüßen und zu einem bloßen Funktionsträger, einem fremdgesteuerten "Leistungserbringer" degradiert zu werden. Allumfassende Budgetierung soll ein finanziell angeschlagenes System vor dem Kollaps bewahren, auf Kosten der zu kappenden Vergütung der Leistungserbringer, aber, weit schlimmer noch, eben auch auf Kosten der Quantität und Qualität medizinischer Heilbehandlung. Die alle Lebensbereiche erfassende Ökonomisierung70 fordert unerbittlich ihren Preis.
Euthanasie, so wird berichtet, hat auch in Deutschland längst schleichend Einzug gehalten71, durch Rationierung (vertrags-)ärztlicher Versorgung, die der Gesetzgeber zwar nicht anordnet, aber doch veranlaßt: So schreibt das Gesetz die Festlegung "für auf das Kalenderjahr bezogene[r] Volumen der je Arzt verordneten Arznei- und Verbandmittel (Richtgrößenvolumen)" vor, Richtgrößen, die "nach altergemäß gegliederten Patientengruppen und darüber hinaus auch nach Krankheitsarten" bestimmt werden und "den Vertragsarzt bei seinen Entscheidungen über die Verordnung [...] nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot" leiten sollen (§ 84 Abs. 6 SGB V)72.
Wie kann dieser Entwicklung Einhalt geboten werden? Das Verfassungsrecht bietet dem Arzt, wie gesehen, keinen hinreichenden Schutz vor Fremdbestimmung, erst recht nicht Schutz des Einzelnen oder gar einer ganzen Berufsgruppe vor sich selbst. Es läßt wegen seiner prononciert individualrechtlichen Schutzperspektive73 selbst die Geltung und Durchsetzung der zu Standesrecht verdichteten Berufsethik nur eingeschränkt zu.
Unter Berufung auf ihr freiheitsgrundrechtlich geschütztes Gewissen mögen einzelne Ärzte der Manipulation widerstehen, sich den Gesetzmäßigkeiten des Gesundheitssystems entziehen; zu ändern vermögen sie es dadurch nicht. Nur wenn sich die Ärzteschaft auf ihre überlieferte und bewährte Berufsethik rückbesinnt, die Selbstverpflichtung auf sie erneuert und die Zumutung eines Verrats an ihrem Auftrag geschlossen und entschlossen zurückweist, indem sie sich solchem politischen Ansinnen kollektiv verweigert, können Gesellschaft und Gesetzgeber zu einem Umdenken und Umsteuern gezwungen werden. Dazu muß die Ärzteschaft, die sich teilweise bereits geistig hat korrumpieren lassen, zunächst einmal wieder zu sich selbst finden.
Nur wenn ihr das gelingt, wird sie ihrer vielbeschworenen, aber nicht selten auch - bewußt oder unbewußt - gründlich mißverstandenen, ärztlichen Verantwortung wieder wirklich gerecht.
1 Siehe dazu C. Hillgruber, Die Herrschaft der Mehrheit. Grundlagen und Grenzen des demokratischen Majoritätsprinzips, AöR .127 (2002), S. 460-473.
2 H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., 1929, S. 8f.
3 H. Kelsen, (Anm. 2), S. 5.
4Siehe dazu BVerfGE 88, 203, 314 unter Verweis auf E 39, 1, 44, 46 und BSGE 39, 167, 169; R. Beckmann, Arztberuf und Abtreibung, in: Schriftenreihe der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V. zu Köln, Nr. 16, Köln 1999, S. 17-53, 27 f., 40 m. Fn. 78, 47.
5BVerfGE 88, 203, 294.
6R. Beckmann (Fn. 4), S. 52f.
7BVerwGE 89, 260 = MedR 1992, 290 m. Anm. C. Jansen; siehe dazu auch W. Kluth, Die Neufassung des § 218 StGB - Ärztlicher Auftrag oder Zumutung an den Ärztestand?, MedR 1996, S. 546-553, 547f.
8BVerwGE 89, 260, 264f.
9Allerdings wird den Bewerbern nicht das Recht bestritten, nach ihrer Einstellung die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zu verweigern, selbst wenn sie zunächst dazu bereit waren (BVerwGE 89, 260, 263). Damit wird ihnen als gangbarer "Ausweg" die Flucht in die Mentalreservation mit anschließender "(Neu-) Entdeckung" des Gewissens nahegelegt. (Nur) der Ehrliche ist hier der Dumme: "Ein honoriger Bewerber wird seine Bewerbung und etwaige Einstellung auf diese Stellenausschreibung hin als konkludente Selbstverpflichtung zur Erfüllung der ausdrücklich geäußerten "Erwartung" auffassen und sich nicht etwa im geheimem vorbehalten, später das Gegenteil zu tun oder sich auf eine Gewissensänderung berufen zu können" (Anm. C. Jansen, MedR 1992, 293).
10Vgl. BVerfGE 88, 203, 328f.
11W. Kluth, Die Neufassung des § 218 StGB - Ärztlicher Auftrag oder Zumutung an den Ärztestand?, MedR 1996, 546, 547.
12BayVGH, DVBl. 1990, 880, 881.
13Zum maßgeblichen Unzumutbarkeitskriterium siehe BVerfGE 39, 1, 48-50.
14Kritisch R. Beckmann (Fn. 4), S. 38-42.
15BVerfGE 88, 203, 255 unter Bezugnahme auf E 39, 1, 44.
16Vgl. BVerfGE 88, 203, 204 (LS 11), 264.
17BVerfGE 88, 203, 268.
18BVerfGE 88, 203, 270, 272.
19BVerfGE 88, 203, 274.
20BVerfGE 88, 203, 289.
21Vgl. BVerfGE 88, 203, 289-292; siehe auch schon E 39, 1, 63 f.
22Zu Recht dazu kritisch R. Beckmann (Fn. 4), S. 29, 45; B. Büchner, JVL 13 (1996), S. 10.
23BVerfGE 98, 265, 297. Dazu kritisch C. Hillgruber, Die Rechtsstellung des Arztes beim Schwangerschaftsabbruch - freie berufliche Betätigung oder Erfüllung einer staatlichen Schutzaufgabe, ZfL 2000, 46, 50f.
24Letzte Hilfe, in: FAZ v. 19.09.2003, S. 8.
25G. Jakobs, Tötung auf Verlangen, Euthanasie und Strafrechtssystem, 1998, S. 22.
26Vgl. dazu G. Duttge, Lebensschutz und Selbstbestimmung am Lebensende, ZfL 2004, S. 30-38, 35, für den dies allerdings nur bei bestehender Handlungsfähigkeit des Todeswilligen gilt.
27Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung vom 30.4.2004, Deutsches Ärzteblatt, 7.5.2004, S. A-1298 = ZfL 2004, S. 57f., 57.
28Nicht einmal darauf aber kann man sich sicher verlassen: So wird zur Sterbehilfepraxis in den Niederlanden berichtet, dass 1995 in 648 Fällen der medizinisch assistierte Selbstmord wegen unzureichender Wirkung der Medikamente misslang, so dass die Patienten schließlich aktiv getötet werden mussten (F. Oduncu/W. Eisenmenger, Geringe Lebensqualität. Die finstere Praxis der Sterbehilfe in Holland - bis hin zum Mord", in: SZ v. 17.7.2003, S. 11): Pfusch!
29Dass auch Art. 2 EMRK kein Recht auf aktive und direkte Tötung auf Verlangen beinhaltet, entschied der EGMR im Fall Diana Pretty ./. Vereinigtes Königreich (NJW 2002, 2851).
30Zitiert nach: S. Rehder, Sterbehilfe in der Industriegesellschaft, LebensForum Nr. 70, 2/2004, S. 24f.
31Knappe Übersicht bei E. Deutsch/A. Spickhoff, Medizinrecht, 5. Aufl., Berlin u.a. 2003, Rn. 67f., S. 43f.; A. Hollenbach, Grundrechtsschutz im Arzt-Patientenverhältnis, Berlin 2003, S. 349-351.
32Siehe dazu und zum Folgenden W. Boecken, Der Status des Vertragsarztes: Freiberufler oder arbeitnehmerähnlicher Partner im System der gesetzlichen Krankenversicherung, in: FS H. Maurer, München 2001, 1091-1109, 1095-1106.
33Zu den im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen enthaltenen Budgetierungs- und Abstaffelungsregelungen siehe § 87 Abs. 2a S. 7 u. 8 SGB V.
34W. Boecken (Fn. 32), S. 1103. Konsequenterweise verneint das BSG (Beschl. V. 3.3.1999, SozR -2500 § 85 Nr. 30) einen subjektiven Anspruch des Vertragsarztes auf angemessene Vergütung.
35Vgl. R. Hess, Vertragsarzt: freier Beruf oder Gesundheitsbeamter, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1996, S. 67ff.
36So die h.M.; etwa W. Boecken (Fn. 32), S. 1106; ders.; Leistungserbringer im Spannungsverhältnis von freiem Beruf und staatlicher Bindung: Die Stellung des Vertragsarztes im System der gesetzlichen Krankenversicherung, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung. Rechtliche Perspektiven für eine Reform der gesetzlichen Krankenversicherung, Bertelsmann Stiftung, S. 139-162, 159; H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, S. 161ff.; J. Isensee, Das Recht des Kassenarztes auf angemessene Vergütung, VSSR 1995, 321, 330; einschränkend F. Hufen, Inhalt und Einschränkbarkeit vertragsärztlicher Grundrechte, MedR 1996, S. 394-403, 396, der annahm, mit dem Gesundheitsstrukturgesetz habe der Gesetzgeber "einen Wechsel vom freien Arztberuf hin zum Beruf des verwaltenden und verwalteten Vertragsarztes" vollzogen; siehe aber jetzt wieder dens., Grundrechtsschutz der Leistungserbringer und privaten Versicherer in Zeiten der Gesundheitsreform, NJW 2004, 14, 14f.
37H. Bogs, Die Zulassung zum freiberuflichen Kassenarztamt unter dem Bonner Grundgesetz, in: W. Gitter/W. Thieme/H. F. Zacher (Hrsg.), FS Wannagat, 1981, S. 51-85, 73, der die Zulassung zum Kassenarztsystem als Gewährung von "Teilhabe an dem Amtsstellensystem der öffentlichen Daseinsvorsorgeverwaltung" einordnet.
38So wohl tendentiell v. Maydell/Pietzcker, Begrenzung der Kassenarztzulassung, Baden-Baden 1993, S. 19ff.
39So dem Sinne nach G. Manssen, Das Kassenarztzulassungsrecht des SGB V - Einfachrechtliche Ausgestaltung durch das GSG und verfassungsrechtliche Problemstellung, ZfSH/SGB 1994, 1.
40So H. Bogs, Das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) im Spiegel des Arztsystems, in: B. Becker/H. P. Bull/O. Seewald (Hrsg.), FS Thieme, 1993, S. 715-731, 719.
41F. Naschold, Kassenärzte und Krankenversicherungsreform, 1967, S. 98.
42Vgl. BVerfGE 11, 30, 39-42; 16, 286, 298.
43W. Boecken (Fn. 32), S. 1096.
44BVerfGE 11, 30, 44f.
45So F. Hufen (Fn. 40), S. 14f.
46Nach v. Neumann, Leistungerbringer im Spannungsverhältnis von freiem Beruf und gesetzlicher Bindung, in: S. Empter/H. Sodan (Hrsg.), Markt und Regulierung. Rechtliche Perspektiven für eine Reform der gesetzlichen Krankenversicherung, Bertelsmann Stiftung, S. 163-184, 165 ("Der Vertragsarzt als sozialstaatlich begünstigter Beruf") hat das BVerfG in E 103, 172, 186-189 die "teilhaberechtliche Sichtweise" "in die abwehrrechtliche Konzeption integiert, wobei allerdings einige dogmatische Fragen offen bleiben".
47So F. Hufen (Fn. 36), S. 15.
48 Nachweise der (Kammer-)Rechtsprechung bei F. Hufen (Fn. 36), S. 14 Fn. 12-14; T. Clemens, in: Umbach/Clemens, GG, Mitarbeiterkommentar, Bd. I, 2002, Anhang zu Art. 12 Rdnrn. 63ff.
49Siehe nur BVerfGE 103, 172, 184f. m.w.N. = NJW 2001, 1779, 1780. Dazu kritsch F. Hufen (Fn. 36), S. 16 und R. Zuck, Die Praxisgebühr - das wahre Unwort des Jahres, NJW 2004, 1091.
50Wohl nicht zu Unrecht hält BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NJW 1998, 1776, 1777 es für möglich, dass "die Einbindung der Vertragsärzte in das öffentlich-rechtliche System der gesetzlichen Krankenversicherung auch Sonderregelungen rechtfertigen könnte". Zutreffend konstatiert E. Schmidt-Aßmann, Verfassungsfragen der Gesundheitsreform, NJW 2004, 1689: "Die verfassungsgerichtliche Prüfung bewegt sich innerhalb des Systems".
51Konsequent einen solchen Anspruch ablehnend daher der Beschluß der 2. Kammer des Ersten Senats vom 1. Juli 1991, BVerfG SozR 3-5557 Allg. E-GO.
52Vgl. BVerfGE 47, 285, 321.
53Konsequent fordert F. Hufen (Fn. 36), S. 14, der für eine grundrechtliche Sicht plädiert, einen Systemwechsel weg vom "’herrschenden’ Modell der GKV" und hin "zur Eigenverantwortung und Selbstbestimmung, die durch das System der "Leistungserbringer verloren zu gehen scheint". Siehe auch E. Schmidt-Aßmann, NJW 2004, 1689, 1691f..
54F. Naschold (Fn. 41).
55Siehe dazu G. Schneider, Wirtschaftlichkeitsprüfung unter dem Einfluß von Praxisbudgets, MedR 1998, 540, 542f.
56Vgl. W. Boecken, Mengensteuerung durch Budgetregelungen unter Einbeziehung der Globalbudgets. MedR 2000, 165, 166-168.
57Siehe dazu treffend W. Boecken, MedR 2000, 165, 167f.; ders. (Fn. 32), S. 1100 spricht gar von "Perfidie". Vgl. auch G. Schneider, MedR 1998, 540, 545: "Jede Form der Budgetierung, wie sie in der GKV betrieben wird, ist schon deshalb als unaufrichtig zu bewerten, weil sie keine direkte Rationierung von Gesundheitsleistungen bewirkt, sondern das Problem durch Kontingentierung von Vergütungen auf die Schultern der Leistungserbringer bürdet. Politisch redlich wäre es demgegenüber, rationierte man die Gesundheitsleistungen durch Einschränkungen in leistungsrechtlicher Hinsicht".
58Siehe dazu näher W. Boecken, MedR 2000, 165, 169-171; ders. (Fn. 32), S. 1099f.; K.H. Friauf, Zur Frage der Vereinbarkeit des Arzneimittelbudgets nach Art. 29 GSG und § 84 Abs. 1 SGB V mit den Anforderungen des Grundgesetzes, Rechtsgutachten, 1994; R. Ratzel, Auswirkungen der Arzneimittelbudgetierung, MedR 1996, 180.
59GMG vom 14.11.2003 (BGBl. I S. 2190).
60BT-Drucks. 15/1525, S. 83.
61Vgl. BT-Drucks. 15/1525, S. 71, 83.
62R. Zuck, NJW 2004, 1091. Siehe auch R. Weimar/B.R. Elsner, Offene Fragen zum Kostenersatz des Arztes für die Einbehaltung der "Praxisgebühr", GesR 2004, 120, 121.
63R. Zuck, NJW 2004, 1091.
64Vgl. R. Weimar/B.R. Elsner, GesR 2004, 120, 122; T. Linke, Praxisgebühr auf dem Prüfstand - zugleich Besprechung von SG Berlin, Beschluss vom 16.2.2004 - S 79 KA 348/03 ER -, NZS 2004, 186, 188. Zur Abgrenzung von Beleihung und Inpflichtnahme vgl. BVerfGE 30, 292, 310ff. - Erdölbevorratung; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl., 2002, § 23 Rn. 56-65, 62.
65T. Linke, NZS 2004, 186, 188.
66Vgl. BVerfGE 30, 292, 324ff.; 95, 173, 187; siehe auch OVG Nds., NVwZ-RR 2002, 456, 457. A.A. O. Depenheuer, Arbeitgeber als Zahlstelle des Sozialstaates. Zur Indienstnahme privater Arbeitgeber zur Auszahlung des Kindergeldes, BB 1996, 1218, 1219; wohl auch R.P. Schenke, Verfassungsrechtliche Probleme einer präventiven Überwachung der Telekommunikation, AöR 125 (2000), S. 1-44, 38, die zur Voraussetzung machen wollen, dass der Staat die abverlangte Leistung nicht selbst erbringen kann und daher auf die Mitwirkung des in die Pflicht genommenen Privaten angewiesen ist.
67A.A. T. Linke, NZS 2004, 186, 189; R. Weimar/B.R. Elsner, GesR 2004, 120, 123. Zweifelhaft ist allerdings, ob auch eine Vermögensbetreuungspflicht des Vertragsarztes im Sinne des Untreuetatbestandes (§ 266 StGB) bejaht werden man mit der Folge, dass bei Nichteinziehung der Praxisgebührt dieser Straftatbestand erfüllt ist.
68Nach Ansicht des BVerfG (E 103, 172, 191) fungiert "der Vertragsarzt zugleich [als] Sachwalter der Kassenfinanzen insgesamt"!
69Zur verfassungsrechtlichen gebotenen Ausgleichsverpflichtung vgl. R. Weimar/B.R. Elsner, GesR 2004, 120, 123; T. Linke, NZS 2004, 186, 189f.; vgl. auch BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), NJW 2001, 1269.
70Berechtigte Kritik an der mittlerweile vorherrschenden "Dominanz der Ökonomie im Gesundheitswesen" hat kürzlich der 107. Deutsche Ärztetag formuliert; vgl. Beschlussprotokoll v. 18.-21.5.2004, Ziff. I, S. 1ff.
71Dazu ("Inzwischen ist die - verdeckte - Rationierung längst Realität im deutschen Klinikalltag") und zu Verfassungsfragen einer Rationierung von Gesundheitsleistungen auf der "Mikroallokationsebene" W. Höfling, Rationierung von Gesundheitsleistungen im grundrechtsgeprägten Sozialstaat. Eine Problemskizze, in: G. Feuerstein/E. Kuhlmann (Hrsg.), Rationierung im Gesundheitswesen, 1999, S. 143-155, 144, 150ff.
72Auch E. Schmidt-Aßmann, NJW 2004, 1689, 1692 kritisiert, dass "bei festen Budgetobergrenzen dem einzelnen Arzt im großen Umfang verkappte ökonomische Verteilungsentscheidungen zugewiesen werden".
73Vgl. nur BVerfGE 76, 171, 185: "Der Gesetzgeber muss ... berücksichtigen, dass die Rechtssetzung durch Berufsverbände besondere Gefahren für die Betroffenen und die Allgemeinheit mit sich bringen kann; zum Nachteil der Berufsanfänger und Außenseiter kann sie ein Übergewicht von Verbandsinteressen oder ein verengtes Standesdenken begünstigen, das notwendigen Veränderungen und Auflockerungen festgefügter Berufsbilder hinderlich ist. Am ehesten darf ein Berufsverband zur Normierung solcher Berufspflichten ermächtigt werden, die keinem statusbildenden Charakter haben und die lediglich in die Freiheit der Berufsausübung von Verbandsmitgliedern eingreifen". "Ausschlaggebend ist darüber hinaus, dass bloße Standesinteressen jedenfalls dann nicht ausreichen können, um eine Grundrechtsbeschränkung zu legitimieren, wenn der Gesetzgeber bei seiner Normierung der Berufspflichten selbst nicht darauf Bezug nimmt" (ebd., S. 188).